Die Wiedervereinigung des deutschen Hockeys jährt sich am 3. November zum 30. Mal
22.10.2020 - Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, am 3. Oktober 1990 wurde Deutschlands staatliche Wiedervereinigung besiegelt - diese Daten weltpolitischen Ausmaßes sind jedem bekannt. Natürlich hatten sie auch auf den Hockeysport in Deutschland unmittelbare Auswirkungen.
Nach jahrzehntelanger Trennung bot sich die historische Chance, Ost und West wieder zusammenzubringen. Die führenden Vertreter beider Fachverbände leiteten die nötigen Schritte umgehend ein, Berührungsängste gab es keine. Schließlich wurde bei einem außerordentlichen Bundestag am 3. November 1990 in Hürth einstimmig die Aufnahme der fünf ostdeutschen Landeshockeyverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in den Deutschen Hockey-Bund beschlossen. Drei Wochen zuvor war in Leipzig der Deutsche Hockey-Sportverband der DDR formell aufgelöst worden. Ebenfalls im Oktober hatten sich die Hockeyvereine Ost-Berlins dem Berliner Hockey-Verband angeschlossen.
In 40 Jahren Trennung war einiges auseinandergedriftet. Durfte man in den 60er Jahren die Leistungsspitze des DDR-Hockeys durchaus noch auf Augenhöhe mit dem DHB einstufen, wie die von der Ost-Seite gewonnenen innerdeutschen Ausscheidungsduelle zur Besetzung des Olympiateams 1964 (und Platz 5 in Tokio) sowie die DDR-Olympiateilnahme 1968 (11. Platz in Mexiko-City) zeigten. Doch spätestens durch den Leistungssportbeschluss 1969, der Hockey in der DDR in die Kategorie der nicht mehr förderungswürdigen Sportarten abstufte, wurde dem Ost-Hockey von staatlicher Stelle aus förmlich das Wasser abgegraben. Die DHSV-Teams waren von den ausgerechnet jetzt im internationalen Hockey aufkommenden Wettbewerben (EM ab 1970, WM ab 1971, Vereins-Europapokale ab 1974) ausgesperrt, national darbte die Basis an der ab sofort kaum mehr fließenden materiellen Unterstützung. Kunstrasenplätze, wie sie im Westen ab Ende der 70er Jahre auf den Markt kamen und ab Mitte der 80er Jahre bei den meisten DHB-Vereinen zum Standard wurden, fehlten in der DDR bis zum Ende komplett. Das ist nur ein markantes Beispiel von vielen, wie es zu der Entwicklung kommen konnte.
Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung stand auf der einen Seite ein Hockeyverband, der sich sportlich seit Jahren in der Weltspitze bewegte und dessen Topvereine zur Leistungsspitze Europas gehörten. Mit über 50 000 Mitgliedern in rund 375 Vereinen war der DHB in diesen Kategorien rund zehn Mal größer als der DHSV, der rund 5000 Spieler/innen in 58 sogenannten Hockeysektionen führte. Und trotz dieses Ungleichgewichts herrschte von Beginn der Kontaktaufnahme im Herbst 1989 ein Geist des Miteinanders. Das gipfelte beim Vereinigungs-Bundestag 1990 in den Worten der beiden damaligen Verbandspräsidenten. „Ich habe Hochachtung vor denen, die in 21 Jahren der Diskriminierung den Hockeysport in der DDR hochgehalten haben. Sie können hocherhobenen Hauptes in die Vereinigung gehen“, sagte Wolfgang Rommel (DHB), und Günther Conradi (DHSV) sprach von einer „Hoffnung, an die wir in den letzten Jahren kaum noch zu glauben wagten“. Unüberwindliche Probleme im Zusammenwachsen fürchtete der Leipziger nicht: „Wir haben in verschiedenen Systemen gelebt, aber die Menschen mit ihrem Hockeyenthusiasmus sind in Ost und West die gleichen.“
Beschlossen wurde auf dem Bundestag sogleich, dass die Bundesligen um die stärksten Mannschaften des DHSV aufgestockt werden. „Oben drin bleiben ist leichter als in die Bundesliga aufzusteigen“, machte DHB-Vize Michael Krause denen im Osten Hoffnung, die daran zweifelten, dass die aktuellen Leistungsverhältnisse eine solche Zuordnung sportlich sinnvoll erscheinen lassen. Auch wenn die Skeptiker letztlich recht behalten sollten und alle hinzugekommenen Ost-Teams (Lindenau Grünau Leipzig, Cöthener HC in 1. BL Herren; Osternienburger HC, TSG Chemie Leuna in 2. BL Herren; ATV Leipzig in BL Damen) in der Premierensaison 1991 den Abstieg nicht verhindern konnten, so war es gewiss kein falscher Ansatz, die neuen Verbindungen zwischen Ost und West mit Leben auszugestalten. In der Folge gab es intensive Beratungen, wie die veränderte Hockey-Geografie des vergrößerten Bundesgebiets am vernünftigsten geordnet werden sollte. Eine Strukturkommission erarbeitete Anstöße für das künftige Miteinander unter einem gemeinsamen Dach.
Im Osten geschriebene sportliche Erfolgsgeschichten sind in den 30 Jahren bis zur Gegenwart sicher nicht so viele fortgeführt worden, wie sich das mancher wohl gewünscht hat. Die damals vom Vereinigungs-Bundestag beschlossene Bundesliga-Teilnahme von ehemaligen DHSV-Clubs gab es später im Feldhockey im freien Spiel der Kräfte nur noch handverlesen. Zu groß war meist die Übermacht der (West-)Berliner oder der Westmannschaften. Der mit Abstand größte Erfolg gelang der Weiblichen Jugend A des ATV Leipzig. 2004 gewann sie die Deutsche Feldmeisterschaft – bis heute der einzige blaue DHB-Siegerwimpel für ein Ost-Team. In den Nationalkadern tauchten seit 1990 Ost-Vereinsnamen höchst selten auf, erst auf zweiten Blick wird erkenntlich, dass manch gestandener Internationale seine Grundausbildung im Osten erfahren hat. Martin Zwicker (Berliner HC) aus Köthen ist das Musterbeispiel.
Am meisten auf Augenhöhe hat man sich in den letzten Jahren im Schiedsrichterwesen bewegt. Aus dem Osten kam richtig Qualität in den DHB dazu. Ilona Popp, Knut Jürgens und vor allem die für Tokio nominierte Michelle Meister sind drei prominente Beispiele. Und viele Erfolge von DHB-Nationalteams in den letzten drei Jahrzehnten waren auch ein Stück weit auf die Expertise des Leipziger Strafeckentüftlers Werner Wiedersich zu verdanken.
Die Zahl der Ost-Vereine hat sich gegenüber 1990 von 58 (mit einigen Sektionen ohne Teams im Spielverkehr) auf 48 verringert, allerdings ist Zahl der Mitglieder auf rund 6600 gestiegen. Und Kunstrasen sind über 30 vorhanden. Nicht denkbar damals. lim
Das Oktober-Magazin der Deutschen Hockey-Zeitung (DHZ 34) widmet sich dem 30. Jahrestag der Hockey-Einheit ausführlich, indem es die Ausgangslage 1990 mit der aktuellen Situation 2020 vergleicht und einige prominente Zeitzeugen mit persönlichen Erinnerungen zu Wort kommen lässt. In einem Interview erinnert sich der frühere DDR-Nationalspieler Peter Roth an die Zeit der Wende und die Entwicklung der folgenden Jahre.