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Peter Kraus (80) - Vor dem Olympiafinale einfach schlafen gelegt

29.06.2021 Möglichst optimal ausgeruht zu sein, um in den entscheidenden Momenten die Ruhe bewahren zu können, war sein Credo. Und genau das hat Peter Kraus in seiner vergleichsweise kurzen Zeit im Tor der Hockey-Nationalmannschaft neben Reaktionsvermögen, einem guten Auge und Antizipation so stark gemacht, dass Deutschland 1972 in München erstmals Olympiasieger werden konnte. Vor dem finalen 1:0-Sieg gegen Pakistan hatte sich der damals 31 Jahre alte Schlussmann des Rüsselsheimer Ruder-Klubs schlafen gelegt. „Der damalige Co-Trainer Klaus Kleiter hat sich ziemlich aufgeregt und konnte das nicht verstehen. Aber ich bin dann gut ausgeruht in mein letztes Spiel im Nationalteam gegangen“, erinnert sich Kraus, der am 27. Juni in seiner Heimatstadt den 80. Geburtstag feierte.

Auch wenn aus gegebener Vorsicht keine Einladungen ausgesprochen werden konnten, so klingelte im Hause Kraus in Rüsselsheim am ersten offiziellen Sommer-Sonntag nicht nur das Telefon häufig. Neben Gattin Ursula („Uschi“), den beiden Söhnen Peter und Andreas, zwei Enkeltöchtern und Freunden ließen auch einige RRK-Mitglieder es sich nicht nehmen, dem langjährigen Stammtorwart persönlich im Garten zu gratulieren.

Und bestimmt wurde neben den sechs deutschen Meisterschaften, die Kraus zwischen 1968 und 1978 mit dem Vereinsteam erkämpfen und feiern konnte, auch die Erinnerung an den 10. September 1972 noch einmal wachgerufen. Während seine  Rüsselsheimer Teamkollegen Fritz Schmidt und Rainer Seifert verletzt zum Zusehen verdammt waren, blieb Kraus nach dem 3:0-Halbfinalsieg gegen die Niederlande auch im Finale ohne Gegentreffer. Bereits im Gruppenspiel hatte er sich gegen die favorisierten Pakistani mit zwei parierten Siebenmetern quasi unsterblich gemacht. Gleichzeitig schloss sich nach dem Triumph bei der ersten Europameisterschaft 1970 mit dem Maximal-Erfolg ein vergleichsweise kleiner Kreis. Denn der 26. Einsatz im DHB-Trikot am 10. September 1972 war zugleich der letzte des Spätberufenen, der im Alter von 28 Jahren bei einer Länderspielreise nach Pakistan sein Nationalteam-Debüt gab, das 0:2 endete.

„Ich war in München schon 31 und hatte acht Tage später die erste Rückenoperation vor mir“, erzählt Kraus und fügt schmunzelnd an, „dass heute nur noch meine linke Hüfte original ist“. Nachdem er wegen einer weiteren Operation 1975 in der Halle nicht zum RRK-Kader gehörte, hätte man ihn im Jahr darauf in Ermangelung eines Ersatzkeepers zum Comeback bekniet. Nach dem DM-Triumph 1978 in Mönchengladbach fungierte er zwei Jahre lang „teils mit gehörigen Bauchschmerzen“ als Coach und stand fortan nur noch bei den Senioren zwischen den Pfosten. Nach einer zweistelligen Packung in einem Senioren-Freundschaftsspiel 1996 beim langjährigen Dauerrivalen TG Frankenthal „gegen die ich in der Köbel-Halle mal das Spiel meines Lebens gemacht habe“, war endgültig Schluss. Handschuhe und Gesichtsmaske – Kraus trug weder Helm noch Brustschutz – hängen im Keller. Die alten Schienen holte der heutige RRK-Vorsitzende Fritz Schmidt junior aus einem Abfallcontainer im Stadion.

Auch wenn der letzte Einsatz im RRK-Tor arg schmerzvoll war, so gewinnt er dem Hockey-Kunstrasen trotzdem sehr viel ab. „Athletischer und schneller“ sei das ganze Spiel geworden, „und dass Abseits, Straftore oder das Sperren abgeschafft wurden und inzwischen ständig gewechselt werden kann, ist klasse.“ Natürlich tue es „sehr weh, dass unserer Männer Zweite Regionalliga spielen und die Damen wieder aus der Bundesliga abgestiegen sind. Aber wenn es möglich ist, gehe ich auf den Platz und schaue mir das auch gerne im Fernsehen an“, sagt Kraus. Vier, fünf EM-Spiele habe er kürzlich gesehen und trotz der beiden deutschen Finalniederlagen gegen Holland den Eindruck gewonnen, „dass unsere Herren in Tokio alle Chancen haben. Und natürlich freue ich mich, dass mit Pauline Heinz mal wieder eine RRK-Spielerin dabei ist.“

Dass Peter Kraus ein Lokalpatriot durch und durch ist, wird über zwei langjährige Familien-Wohnstätten unweit des Hockeyplatzes am Sommerdamm  hinaus auf vielfältige Weise deutlich. Am 27. Juni 1941 als Hausgeburt in Rüsselsheim zur Welt gekommen, „wollte ich hier nie weg.“ Vom fünften Lebensjahr an ging er beim SC Opel auf Torejagd, wurde Kreis- wie Bezirksmeister und sogar in die Fußball-Hessenauswahl berufen. Gekickt wurde auf dem Hockey-Aschenplatz, und dort sprach man ihn 1959 an und machte ihm den Torwartposten beim RRK schmackhaft. „Ich hätte gerne weiter Fußball gespielt, aber eine Meniskusoperation war damals ja noch eine Riesensache“, begründet Kraus seinen Wechsel, der sich nicht nur sportlich lohnen sollte: Auf dem Hockeyplatz traf er jene Frau, der er in Rüsselsheim das Ja-Wort gab und mit der er nach 60 Ehejahren am 27. August Diamantene Hochzeit feiern wird – „wahrscheinlich im Kloster Andechs“.

Da Uschi ebenfalls dem Hockeysport zugetan war, habe es nicht an Verständnis für längere Abwesenheiten gemangelt. Was auch für den Arbeitsplatz galt. „Vor München etwa war ich drei Monate weg, und die Kollegen mussten meine Arbeit mitmachen“, berichtet Kraus. Was diese offenbar gerne taten, wie der im Wohnzimmer platzierte Eichenstuhl mit eingeschnitzter Goldmedaille im Rückenteil belegt. Unter anderem mit dieser Arbeit hatte das Schreiner-Team in der Opel-Designabteilung den gelernten Polsterer bei der Rückkehr als Goldmedaillenheld überrascht. „Das Endspiel duften alle am Fernseher live miterleben“, erinnert sich Kraus, der seit 2001 Rentner ist. Haus, Garten sowie Katze Blue halten ihn auf Trab.

Und was wünscht man sich zum 80. Geburtstag? „Gesundheit für die Familie“, sagt Kraus. Dass es ihm eine besondere Freude wäre, über das aktuelle Treffen hinaus zum 50. Jubiläum im kommenden Jahr möglichst viele der zwölf noch lebenden Olympiasieger-Teamkollegen von 1972 und Ex-Bundestrainer Werner Delmes am Walchsee wiederzusehen, versteht sich von selbst. Und auch dann  wird Peter Kraus bestimmt wieder gut ausgeruht ans Werk gehen.   

Martin Krieger