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Interview Andreu Enrich: „Deutschland ist die beste Liga für Coaches“

Seit gut drei Jahren ist Andreu Enrich Cheftrainer der Bundesligaherren des Mannheimer HC. Der Spanier, schon als Spieler überdurchschnittlich erfolgreich (2005 wurde er in Leipzig mit den spanischen Herren Europameister), gilt als Trainer mit hohem intellektuellen Anspruch. Enrich verfasste mehrere Hockeybücher („tactical dilemmas“, „a philosophic game“), kann aber auch sehr emotional coachen. DHZ-Redaktionsleiter Uli Meyer hat sich mit dem 39-Jährigen über die jüngste Erfolgsserie seiner MHC-Herren (drei Siege in vier Tagen) unterhalten und wie es ist, in Kürze in seine Geburtsstadt Barcelona zurückzukehren. Dort will Andreu Enrich mit seinem Team die Qualifikation für die EHL-Endrunde schaffen.  

 

 

Senor Enrich, neun Punkte in vier Tagen – Sie müssen gerade ein zufriedener Trainer sein.

ANDREU ENRICH: Ja, wir sind glücklich im Moment. Nach dem Mülheim-Spiel (2:5; d. Red.) hatten wir ein bisschen Krise im Team. Wir haben uns gesagt, dass es sehr wichtig ist, die nächsten vier Spiele mit zwölf Punkten abzuschließen, also die Heimspiele gegen Gladbach, Frankfurt und Berlin sowie das Derby beim TSV zu gewinnen. Und das ist uns jetzt gelungen, deshalb können wir erstmal zufrieden sein.

 

Von den genannten vier Spielen war das Duell beim Nachbarn vermutlich das schwierigste, oder?

Stimmt. Derbys sind immer kompliziert, wir haben uns beim TSV immer schwergetan. Aber diesmal war es eine noch größere Hürde, weil der TSV meiner Meinung nach noch besser gespielt hat als in den letzten Begegnungen mit uns. Das war am Donnerstag tatsächlich eine große Herausforderung für uns. Sie haben ein wirklich gutes Spiel gemacht. Wir hatten es schon bei der Videoanalyse gesehen, dass der TSV diese Saison stärker ist. Deshalb war es umso wichtiger für uns, sich da zu behaupten und die Punkte mitzunehmen.

 

Bei den beiden folgenden Heimspielen gegen Frankfurt und Berlin konnten Sie sich wieder einmal auf die „Waffe“ Gonzalo Peillat mit jeweils drei Eckentoren verlassen. Was macht ihn so einzigartig?

Gonzalo hat eine große Variabilität im Ablauf. Er kann die Schlenzbälle bei den Ecken gut variieren, er wendet unterschiedliche Täuschungen an und er findet verschiedene Linien von unterschiedlichen Punkten am Kreisrand, um mit seinen Schlenzern an den Herausläufern vorbeizukommen – egal, wie diese ihr Laufverhalten verändern. Er hat einfach die Fähigkeit, das gegnerische Abwehrverhalten zu lesen und seine Ausführung entsprechend anzupassen. Das ist eine Arbeit, die wir im Übrigen auch als Team leisten, indem wir gegnerische Eckenabwehren analysieren und dann gemeinsam entscheiden, wie wir unsere Ecke am besten ausführen können. Da machen wir gerade einen guten Job, auch wenn es natürlich Spiele gibt, wo es mal nicht so gut klappt wie in den letzten Spielen.

 

Neben der vorbereitenden Analyse und einem Weltklasseschützen wie Peillat braucht es natürlich auch ein gutes Setup mit Hereingabe und Stopp.

Auf jeden Fall. Bei einer zu langsamen Ballhereingabe oder einem unsicheren Stopp würde auch der beste Eckenschütze scheitern. Hier standen wir zuletzt vor der Schwierigkeit, neue Hereingeber finden zu müssen, da mit Linus Müller unser erster Hereingeber derzeit nicht zur Verfügung steht, weil er seit Monaten mit Rückenproblemen kämpft.

 

Der Spanier Andreu Enrich ist seit 1. Juni 2020 beim Mannheimer HC für die Bundesliga-Herren zuständig. Foto: Foto2press

Was ist da passiert? Und wann rechnen Sie mit der Rückkehr von Linus Müller?

Er hat seit dem letzten Final-Four (Mai 2023; d. Red.) Rückenprobleme. Schon kleine körperliche Belastungen lösen Schmerzen aus. Wir arbeiten an seiner Genesung, aber setzen da ganz bewusst keine Deadline. Es wäre schön, wenn er in der Rückrunde wieder dabei sein kann, aber das Wichtigste ist, dass er wieder vollständig gesundet und er dann keine Probleme mehr mit dem Rücken hat. Für uns ist das Fehlen von Linus nicht nur wegen den Ecken ein großer Verlust, er war ja auch unser Abwehrorganisator und einer der Leader im Team. Ihn plötzlich nicht mehr dabei zu haben, war schwierig, wie wir zu Saisonbeginn gemerkt haben.

 

Jetzt geht es Mitte der Woche zur EHL-Vorrunde nach Barcelona. Ich nehme an, dass es für Sie etwas Besonderes ist, in Ihre Geburtsstadt zurückzukehren.

Natürlich. Das ist immer etwas Spezielles, aber auch die Jungs mögen Barcelona. Wir waren da jeden Winter zu Teambuilding-Maßnahmen. Aber jetzt erwartet uns dort eine schwierige Aufgabe.

 

Das Ziel dürfte die Qualifikation für das Final-8 an Ostern 2024 sein, oder?

Natürlich, das muss das Ziel sein. Aber es wird schwierig gegen den englischen Meister. Diese Jungs sind gut, das wird ein hartes Match am Freitag. Wir waren nicht gerade glücklich mit dem Los. Aber wir werden unser Bestes geben und versuchen, die nächste Runde zu erreichen.

 

Sie sind jetzt drei Jahre beim MHC. Davor waren Sie in Belgien, Niederlande und in Ihrer Heimat Spanien als Spieler und Trainer aktiv. Was mögen Sie in Deutschland? Und wo liegen, auf Hockey bezogen, die wesentlichen Unterschiede zu Ihren anderen Stationen?

Aus Trainersicht ist Deutschland die beste Liga für Coaches. Weil alle Bundesligateams taktisch versiert und die Spieler individuell sehr gut ausgebildet sind. Alle können ohne große Probleme zwischen Mann- und Raumdeckungssystemen wechseln, beherrschen verschiedene Spielsysteme. Das ist für einen Coach wirklich eine tolle Situation. Dieses Level an taktischer Expertise ist in Belgien, den Niederlanden oder Spanien nicht so hoch wie in Deutschland. Dazu kommt die inzwischen hohe Ausgeglichenheit der Bundesliga. Derzeit kann man durchaus von neun Topteams sprechen, und der TSV Mannheim stellt jeden vor anspruchsvolle Aufgaben, wie wir gerade gesehen haben. Man hat jede Woche intensive Spiele, und gerade die Doppelwochenenden machen es für die Spieler wie auch die Coaches sehr anspruchsvoll. Das ist einzigartig und gibt es in dieser Form in keinem der anderen Länder.

 

Sie sprechen die komprimierten Saisonabschnitte an.

Die meist kurzen Wettkampfphasen in der Bundesliga sind schon sehr stressig. Man hat eigentlich zu viele Spiele in kurzer Zeit, wie jetzt auch diese Hinrunde wieder zeigt. Dazu kommt gerade noch die U21-Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft und die Vorbereitung der Herrennationalspieler auf die Olympia-Qualifikation. Das alles ist sehr anspruchsvoll in diesem Herbst für Mannschaften mit vielen Kaderspielern.

 

Deutschland ist Herren-Weltmeister. Welchen Anteil hat daran die Bundesliga?

Der Schlüssel des Erfolgs des deutschen Hockeys liegt meiner Meinung nach in den Clubs. Die machen einfach einen guten Job, haben gute Coaches. Der nationale Wettbewerb ist sehr stark. Ich denke, dass das Programm für die Nationalteams in Belgien, Niederlande und sogar Spanien besser ist als in Deutschland. Natürlich kenne ich das Problem der großen Entfernungen in Deutschland. Deshalb ist das zentrale Training für alle, wie man es in anderen Topnationen in kontinuierlicher Weise mit meist drei gemeinsamen Tagen die Woche pflegt, hier nicht möglich. Aber das gewählte Stützpunktsystem ist in meinen Augen nicht sehr effektiv. Das wird meines Erachtens durch die gute Arbeit der Club und durch die starke Liga aufgefangen. Da haben die Spieler eine gute Basis, wenn sie zur Nationalmannschaft kommen.

 

Sie haben mit den MHC-Herren den Hallen-DM-Titel 2022 geholt. Ich vermute mal, dass Sie hier erst zufrieden sind, wenn Sie mit dem Mannheimer HC auch die Deutsche Feldmeisterschaft gewonnen haben. Richtig?

Natürlich haben wir im MHC das Ziel, stets um die Titel mitzuspielen. Wir können uns ja auch nicht beschweren. Seit ich hier bin, können wir uns glücklich schätzen, in der Hallen- und in der Feldsaison immer das Final-Four erreicht zu haben. Das ist schon mal ein schöner Erfolg. Der finale Weg zu einem Titel ist schwierig, da kann in einem einzigen K.O.-Spiel die Arbeit einer ganzen Saison dranhängen.

 

Stimmt der Eindruck, dass beim Mannheimer HC zuletzt mehr Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in den Bundesligakader aufgerückt sind und weniger externe?

Wir haben im MHC einen gewissen Wandel durchlaufen. Wir wollen mehr und verstärkt auf unsere eigenen, aus der Jugend kommenden Spieler setzen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Mannschaft von Woche zu Woche jünger und jünger wird (lacht). Neulich haben wir – vermutlich das erste Mal in der jüngeren Vereinsgeschichte – mit zwölf Spielern gespielt, die hier im MHC ausgebildet wurden. Das ist für sich gesehen eine sehr erfolgreiche Sache. Andererseits haben wir immer noch den Anspruch, mit den besten anderen Teams in Deutschland mithalten zu wollen. Andere Vereine verfolgen zwar auch ihre Jugendarbeit, aber investieren gleichzeitig in anderer Weise in ihr Bundesligateams. Da müssen wir vielleicht noch den richtigen Mix finden. Aber ich glaube, wir können das schaffen.  

 

Vielen Dank für das Gespräch!