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Sebastian Draguhn: „Es hat in Neuss immer für mich gepasst“

08.12.2023

Interview   

Vor gut drei Jahren hat Sebastian Draguhn seine Bundesligakarriere im fortgeschrittenen Leistungssportalter von 36 Jahren beendet. Doch jetzt steht der 117-fache Ex-Nationalspieler, der 2006 auf dem Feld und 2007 in der Halle Weltmeister wurde, plötzlich wieder auf der Matte. Natürlich für den HTC Schwarz-Weiß Neuss, dem er zeitlebens seine Treue hielt. Wie es zum Hallen-Comeback kam und warum er trotz des beeindruckenden Neusser Startwochenendes (noch) nicht über eine Viertelfinalteilnahme spekuliert, hat Draguhn (39) im Gespräch mit DHZ-Mitarbeiter Julius Hayner erzählt.   

Herr Draguhn, als die Heimmannschaft am Sonntagabend in der Neusser Jahnstadion einlief, war der Jubel, als Ihr Name über die Lautsprecher hallte, besonders groß. Schilder mit der Aufschrift „Basti is back“ und frenetischer Jubel bei Ihren drei Toren sorgten für eine ganz besondere Atmosphäre. Hat das auch einen so erfolgreichen Hockeyspieler, der im Grunde genommen schon alles erlebt hat, noch emotional gemacht? 

SEBASTIAN DRAGUHN: Ja, absolut. Insbesondere dadurch, dass ich auch mit meinen beiden Töchtern einlaufen konnte, war es schon sehr besonders. Das war schon im Vorfeld ganz lange ein Thema bei mir und meiner Frau. Wir haben uns vor der Saison Gedanken gemacht, ob das alles organisatorisch und zeitlich passt. Denn der Gedanke, dass sich meine Kinder an ihren Papa als Spieler nochmal aktiv erinnern können, war eine große Triebfeder. Als ich vor drei Jahren aufgehört habe, war meine jüngste Tochter definitiv noch zu klein, die ältere mit Sicherheit auch noch nicht alt genug, um sich wirklich daran zu erinnern. Nun sind sie sechs und acht Jahre alt und können sich später vielleicht noch daran erinnern, den Papa spielen gesehen zu haben. Vor so einer Kulisse dann zu spielen, ist super besonders und alles andere als gewöhnlich. Es war ein absolutes Highlight und mit dem Ausgang der Begegnung dann auch eine gewisse Genugtuung, dass es vielleicht die richtige Entscheidung war. 

Archivbild vom Februar 2022: Da spielte Sebastian Draguhn (rechts) im Team des kroatischen Meisters HK Zelina beim Europacup der Hallen-Landesmeister und holte zusammen mit den deutschen Ex-Internationalen Jan Philipp Rabente und Benjamin Wess die Silbermedaille. Foto: Worldsportpics
Archivbild vom Februar 2022: Da spielte Sebastian Draguhn (rechts) im Team des kroatischen Meisters HK Zelina beim Europacup der Hallen-Landesmeister und holte zusammen mit den deutschen Ex-Internationalen
Jan Philipp Rabente und Benjamin Wess die Silbermedaille. Foto: Worldsportpics


Allgemein gab es am Wochenende aus Neusser Sicht nur Grund zur Freude: Ein Auswärtssieg zum Auftakt in Mülheim und ein überzeugender Heimsieg im Rheinderby gegen den DHC. Hätte der HTC im Vorhinein mit so einem Traumstart gerechnet?
 

Nein. Also ganz sicher, nein. Ganz im Gegenteil. Ich war eher einigermaßen skeptisch, weil ich nicht wusste, was auf uns zukommen wird, aufgrund der Tatsache, dass viele A- und U21-Nationalspieler fehlen. Fairerweise muss ich sagen, dass ich nicht mehr so viele Spieler bei den anderen Vereinen kenne, aber da kommen überall so viele talentierte Hockeyspieler hoch. Ich wusste nicht, wie eingespielt Mülheim und Düsseldorf sind. Und in beiden Mannschaften sind sehr viele gute Spieler. Ich hätte also nicht mit so einem Auftakt gerechnet, wenn ich es auch nicht ganz ausgeschlossen habe. Wir haben eine Mannschaft mit einer sehr guten Mischung. Und eine Mannschaft, die letztes Jahr auch schon so sehr gute Spiele gemacht hat und beispielsweise Mülheim geschlagen hat. Es war also gewissermaßen eine Wundertüte. So einen Auftakt habe ich mir natürlich gewünscht, aber nicht damit gerechnet, dass es auch tatsächlich eintreten wird. 

Auch wenn es so wirkte, als wären Sie nie weg gewesen, lag ihr letztes Pflichtspiel vor für den HTC Schwarz-Weiß Neuss vor diesem Wochenende über drei Jahre zurück. Wie kam es zu Ihrer Reaktivierung für diese Hallensaison? 

Es waren im Prinzip ganz viele kleine Puzzleteile. Es fing eigentlich damit an, dass ich vor zwei Jahren mit einer kroatischen Mannschaft bei dem Hallen-Europacup mitgespielt habe, bei dem ich gemeinsam mit Benni Wess und Jan-Philipp Rabente in einer Mannschaft gespielt habe. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich auch letztes Jahr gemeinsam mit Rabente noch einen Anlauf geplant hatte. Das wäre nochmal eine große Chance gewesen, den Europacup in der Halle zu gewinnen, da wir eine gute Mannschaft hatten und beispielsweise kein deutscher Vertreter am Turnier teilgenommen hätte. Somit habe ich mich intensiv darauf vorbereitet, fit gemacht und zweimal die Woche immer in Neuss mittrainiert, wodurch diese Verbindung auch immer erhalten blieb. Aber eben damals mit dem Bewusstsein, dass ich nur dieses eine Wochenende im Februar bei dem Europacup spielen werde, was vom zeitlichen Aufwand kein Problem darstellte. Aufgrund des tragischen Erdbebens in der Türkei wurde der Europacup dann jedoch abgesagt, und die ganze Euphorie und Vorbereitung verpuffte. Das war ein für mich sehr unbefriedigendes Gefühl, das konnte es dann nicht einfach gewesen sein. Und so kam dann eins zum anderen. Dann haben mich viele alte Weggefährten aus Neuss immer wieder gefragt, dann haben meine ehemaligen Mitspieler aus Neusser Zeiten, Philipp Weide und Axel Schmitz, gesagt, dass sie auch nochmal in der Halle spielen werden, und dann eben noch der schöne Gedanke mit meinen Kindern. Dann musste ich nur noch abgleichen, ob es nicht kollidiert mit meinem Engagement als Co-Trainer bei den Damen des DSD, und als das dann auch geklärt war, stand die Entscheidung eigentlich fest.  

 
Haben Sie eventuell auch ein wenig gewittert, dass aufgrund der Abwesenheit der vielen A- und U21-Nationalspieler in der Hallensaison, dieses Jahr die Chancen bedeutend höher sind, einen der begehrten Viertelfinal-Plätze in der West-Staffel zu ergattern? 

Ich muss natürlich sagen, dass ich in meiner langen Karriere in der Hallensaison im Westen auch hin und wieder in Köln, Mülheim oder Krefeld fürchterlich unter die Räder gekommen bin. Das hätte ich mir nicht mehr zwingend gewünscht. Deswegen war es natürlich auch eine Überlegung, dass die Gruppe dieses Jahr eventuell etwas offener sein dürfte, dass man mal Köln ärgern kann oder eben Mülheim schlägt. Ich kann vermutlich an einer Hand abzählen, wie oft ich in meiner Karriere in der Mülheimer Halle gewonnen habe. Deswegen spielt oder spielte es schon eine Rolle, denn es wäre natürlich eine unglaubliche Geschichte, wenn wir denn am Ende unter den besten zwei im Westen sein sollten. Für mich, für die Mannschaft, für den gesamten Verein. Das würde ich gerne nochmal mitnehmen, aber dafür ist es viel zu früh. Ich habe schon so viele Dinge erlebt, deswegen werde ich mit Sicherheit die Kirche im Dorf lassen. 

Die Herrenmannschaft des HTC Schwarz-Weiß Neuss vor Beginn der Hallensaison 2023/24. Mit dabei Rückkehrer Sebastian Draguhn (hinten, Zweiter von links). Foto: HTC
Die Herrenmannschaft des HTC Schwarz-Weiß Neuss vor Beginn der Hallensaison 2023/24. Mit dabei Rückkehrer Sebastian Draguhn (hinten, Zweiter von links). Foto: HTC

Für Sie hieß es immer nur „Neuss“. Dabei ist es kein Geheimnis, dass Sie während Ihrer mit unter anderem zwei Weltmeister-Titeln bestückten Karriere sicherlich bei jedem deutschen oder auch ausländischen Top-Verein hätten anheuern können. Woher rührt diese tiefe Verbundenheit und Loyalität, die in dieser Art und Weise heute noch kaum vorstellbar wäre? 

Ich habe dafür nicht die eine Antwort. Auf der einen Seite hatte ich immer Spaß daran, eine Führungsrolle und Verantwortung für eine Mannschaft zu übernehmen. Das wäre in einem größeren Verein, wo tendenziell mehr „Häuptlinge“ rumlaufen, eventuell anders gewesen. Ich habe das in Neuss immer sehr gerne getan. Auf der anderen Seite hat es auch immer einfach in meinem Leben gepasst. Ich musste für das Studium oder die Arbeit nie in eine andere Stadt, war nie gezwungen, ins Ausland zu gehen. Es hat in Neuss immer für mich gepasst. Wir hatten auch oft komplizierte Charaktere, schwierige Phasen, aber es hat mir immer eine große Freude gemacht, und am Ende haben wir aus jeder Truppe eine echte, homogene Mannschaft geformt. Ich hatte in Neuss immer sehr, sehr gute Zeiten und hatte natürlich auch meine Freiheiten. Tendenziell bin ich auch eher der loyale Typ, ich brauche nicht unbedingt etwas Neues.  

 
Logischerweise haben Sie in ihrer aktiven Karriere jede Menge Mannschaften in Neuss erlebt. Oft hieß es dabei, dass der Verein spätestens nach Ihrem Karriereende nicht mehr konkurrenzfähig sein wird. Was zeichnet nun diese aktuelle Mannschaft aus, die sich ohne große finanzielle Mittel seit Jahren positiv entwickelt und sowohl in der 2. Bundesliga auf dem Feld und in der 1. Bundesliga in der Halle ihren Platz gefunden hat? 

Es ist ja so, dass ich noch relativ lange gespielt habe. Vor drei Jahren war ich 36 Jahre alt, das gibt es heute auch nicht mehr so häufig. Es war aber immer ein Wunsch von mir, dass wenn ich aufhöre, dass dort eine Mannschaft in Neuss ist, bei der es nicht heißt, „wenn der Draguhn weg ist, steigen die ab“. Und darauf bin ich unfassbar stolz, dass das geklappt hat. Dafür haben unglaublich viele Menschen in Neuss so viel Herzblut reingesteckt, dass da jetzt eine super homogene Mannschaft steht, die den Verein mit ihrem Einsatz und ihrer Leidenschaft mitreißt. Es ist eine sehr durchgemischte Truppe, auch mit einigen Verstärkungen aus dem Ausland, ja. Aber das sind bei uns keine „Externen“ oder „Saisonarbeiter“. Das sind alles feine Jungs, die super aufgenommen wurden, teilweise seit Jahren schon hier sind und sich unglaublich einbringen und integrieren. Nicht zu vergessen ist natürlich Matthias Gräber, der als Trainer seit Jahren einen fantastischen Job als Trainer in Neuss macht. Er hat seit Jahren eine sehr gute Ansprache an die jugendliche Truppe, die zugegebenermaßen in der Halle jetzt nicht ganz so jugendlich ist, bei der sich jeder aufgehoben fühlt. Das Geheimnis des Erfolgs liegt in der Homogenität dieser Mannschaft, die es auch geschafft hat, einige sehr, sehr gute Hockeyspieler in ihren Reihen zu halten. 

 
Nun wartet am Freitagabend in Krefeld das neue Spitzenspiel der West-Staffel. Understatement dürfte nach dem Auftaktwochenende nicht so leicht möglich sein, von einer klaren Außenseiterrolle zu sprechen zu einfach. Müsst Ihr das Viertelfinale nun als realistisches Ziel zumindest erkennen und somit auch beim CHTC auf Sieg spielen? 

Auf Sieg spielen wir immer, niemand tritt an, um nicht auf Sieg zu spielen. Das ist die eine Sache. Die andere Frage können Sie mich nochmal fragen, wenn wir Krefeld geschlagen haben sollten. Mit neun Punkten aus drei Spielen würde ich mich dann vielleicht dazu hinreißen lassen, dass wir dann im Fall der Fälle eventuell nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben. Denn das ist und bleibt das größte Ziel. Ich habe schon viele Sachen erlebt, da muss man einfach bei sich und seinen Zielen bleiben. Ich würde mich in erster Linie freuen, wenn wir in meiner dann wahrscheinlich letzten Saison möglichst früh unten weg sind. Aber auch in der Krefelder Glockenspitzhalle kann ich meine Siege wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Da wartet ein verdammt starker Gegner auf uns. Ich sehe Krefeld als absoluten Favoriten im Westen. 

 
Vielen Dank für das Gespräch! 

 

 

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